(aus Brief an Dr. Picard 24.6.1950)

 

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Wenn allerdings eine Generation ihre Ersparnisse falsch anlegt, so tritt unweigerlich die von Ihnen vermutete Wirkung ein, naemlich sie muss verhungern, wenn sie alt wird. Aber, solange Wirtschaftsfreiheit besteht, wird die Generation ihre Ersparnisse gewiss nicht falsch anlegen.

      Sie meinen: "Die Lebensdauer der Kapitalgueter wird immer kleiner und kleiner, die Lebensdauer der Menschen aber groesser und groesser."

      Zunaechst: Wird die Lebensdauer der Kapitalgueter immer kleiner und kleiner? An welche Art von Kapitalguetern haben Sie gedacht? Bruecken? Die werden heute solider gebaut als frueher. Ich bin oft ueber Jahrzehnte alte Bruecken gegangen, in Deutschland sowohl wie in New York, und die sahen aus, als ob sie erst gestern fertig geworden waeren. Eisenbahnen? Die Lebensdauer einer gut gehaltenen Bahn betraegt, wie ja die Erfahrung gerade jetzt zeigt, wenigstens 100 Jahre. Haeuser? Sogar in England, wo das kleine, billig und ohne besondere Sorgfalt gebaute Wohnhaus ueberwiegt, da rechnet man 60 Jahre als Lebensdauer eines solchen Hauses. In Berlin rechnet man 200 Jahre fuer normale Geschaeftshaeuser. Beton verlaengert die Lebensdauer sehr. Gegen Bomben hilft allerdings auch kein Beton. Die Haeuser an der Friedrichstrasse waren, als sie zerstoert wurden, alle ueber 200 Jahre alt und waren vollkommen brauchbar.

 

      Richtig ist Ihre Andeutung, dass man das Problem der Altersfuersorge nicht anders loesen kann als durch eine Unlage, die die juengere Generation zugunsten der aelteren aufbringen muss. Wenn aber die aeltere Generation richtig gespart hat, dann bringt die juengere Generation durch die von der aelteren geschaffenen Produktionsmittel die Umlage plus ihren eignen Lebensunterhalt leicht in 8 Stunden taeglicher Arbeitszeit auf und lebt dabei sehr viel besser, als die aeltere Generation bei 10 Stunden Arbeitszeit gelebt hat.

      Schon i.J. 1800 rechnete man. dass ein mit Werkzeugen gut versehener Mann auf einem englischen Acker den Lebensunterhalt von 9 Menschen produzieren kann.

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      Ich vermute, dass wenn waehrend der naechsten 100 Jahre alljaehrlich ein Viertel des Sozialproduktes von Europa und Amerika nicht konsumiert sondern investiert wuerde, der Ertrag im Durchschnitt fuer die Glaeubiger zum allerwenigstens 6% p.a. sein wuerde und fuer die Schuldner noch sehr viel mehr, und dass ausserdem die Anlagen innerhalb der Lebensdauer eines etwa 65-jaehrigen abgeschrieben sein koennten. Das haengt im Wesentlichen von der Gesetzgebung ab und von der oekonomischen Initiative der Aristokratie, das Wort im griechischen Sinne genommen. Im Westen der USA bestand ein solcher Zustand Jahrzehnte lang, und wenn dort heute der Kapitalertrag geringer ist, so liegt dies vor allem an der Gesetzgebung und an der nachlassenden Initiative. Ich meine hier vor allem die Gesetzgebung ueber die Kapitalanlagen der Geldinstitute und die Gesetzgebung ueber die Zahlungsmittel. Industrie und Handwerk sind jetzt in den USA ebenso wenig "muendelsicher" wie in Europa und daher als Kapitalanlage fuer Sparkassen etc. ausgeschlossen. Ferner duerfen Schuldner und Glaeubiger einander nur das zukommen lassen, was sich durch die zugelassenen Zahlungsmittel ansetzen laesst. Wenn die Zahlungsmittel fehlen, dann mag die Ernte verfaulen und von den Maeusen gefressen werden, waehrend das Volk in den Staedten buchstaeblich hungert, wie wir's z.B. in den Jahren 1924, 1931 & 1932 in Deutschland erlebt haben.

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Mit meiner Meinung, dass das Recht fuer Goldbarrenbesitzer, sie bei der Muenze in Goldmuenzen umpraegen zu duerfen, fuer die Goldwaehrung wesentlich sei, sind Sie nicht einverstanden und wenden ein, dass in England von jeher das   Einschmelzen von Goldmuenzen verboten war.

Beides steht allerdings in einem Zusammenhang.

Zunaechst besteht bei jedem Waehrungssystem die Tendenz, die Wirtschaft moeglichst reichlich mit Muenzen, ausgepraegt in dem betr. Waehrungsgut, zu versehen. Am staerksten war diese Tendenz beim alten Merkantilismus. Wer Goldbarren oder Silberbarren zur Muenze brachte um sie da umpraegen zu lassen, der wurde beinahe als Wohltaeter seines Volkes betrachtet und jedenfalls sehr beguenstigt. In England z.B. da wurde ihm der "Schlagschatz" erlassen. Die Literatur berichtet auch, dass viele Staatsbanken den Barrenbesitzern die Transportkosten bis zur Muenze ersetzten, um nur ja recht viele Barrenbesitzer zu veranlassen, die Barren in Muenzen umzuwandeln. In England brauchte er auch auf das Umpraegen nicht zu warten. Die Muenze bezahlte die Barren sofort nach der Pruefung mit Banknoten, und die mochte sich der Besitzer nach Belieben in Muenzen umwechseln oder nicht. Aus der gleichen Tendenz, naemlich dem Verkehr recht viel Muenzen zuzufuehren, entstand auch das Verbot in vielen Staaten, auch in England, Muenzen einzuschmelzen. Die Einschmelzung geschah vor allem durch die Goldindustrie, die sich dadurch Gold mit einem garantierten Feingehalt verschaffte. (In Deutschland verfuhr man viel praktischer. Die Muenze stellte der Goldindustrie Muenzplatten zur Verfuegung, wie sie unmittelbar vor Anbringung des Praegestempels beim Muenzen entstanden. Die kaufte die Industrie und hatte den Vorteil, unabgenutzte Platten zu bekommen. Die Verwendung solcher Platten erleichtert sehr die Kontrolle der Arbeiter. Die russische Methode war ebenso wirksam: Fuer Goldwaren war ein anderer Feingehalt vorgeschrieben als fuer Muenzen, so dass der Anreiz, russische Muenzen einzuschmelzen, fuer die Fabriken in Tula etc. wegfiel.)

      Wuerde man das "freie Praegerecht", wie es s.Zt. genannt wurde, aufgehoben haben, so haette man keine richtige Metallwaehrung mehr gehabt, indem die Besitzer der bereits gepraegten Muenzen eine Art Monopol gehabt haben wuerden. An der Entstehung eines solchen Monopols hatte niemand ein Interesse.

      Ein paar Mal wurde ja das freie Praegerecht aufgehoben, vor allem fuer Silber, als die Silbergruben Nevadas den Theoretikern zuviel Silber zu liefern schienen; das geschah z. B in Oesterreich und in Indien. Es waren - - meiner Meinung nach - - verfehlte Massnahmen. Ich will in diesem Brief nicht darauf eingehen.

      Um die Gefahr der Entstehung eines Monopols fuer die Muenzbesitzer zu einem Minimum zu machen, verfuhr man in einigen deutschen Staaten, vor allem in Preussen, sehr praktisch indem man "Kassenkurse"  fuer die gangbarsten auslaendischen Muenzen festsetzte. Steuern konnten in Preussen zum Kassenkurs ganz nach Belieben in preussischen, englischen franzoesischen, etc. Muenzen gezahlt werden. Jeder Staat, der muenzte, der versorgte dadurch auch, ob er's wollte oder nicht, Preussen mit Zahlungsmitteln.

 

      So war die alte Metallwaehrung ein sehr gut durchdachtes, in sich auch konsequentes System. Was ihr fehlte, das waren Bestinnungen der Zivilgesetzgebung fuer den Fall, dass trotz freien Praegerechtes ploetzlich die Muenzen fehlten, z.B. gehortet wurden, weil ein Krieg befuerchtet wurde oder eine Revolution. Nachdem aber einmal der Kaiser Justinian im Corpus Juris den Glaeubigern einen Anspruch auf Muenzen eingeraeumt hatte, gleichgueltig wie das Land damit versorgt war, da machten saemtliche Gesetzgebungen das nach bis 1914.

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Sehr interessant Ihre Nachricht, dass Sie sich bei der Universitaet zu Genf als Privatdozent habilitiert haben. Dazu beglueckwuensche ich Sie!! Kann sich ja allerhand draus entwickeln.

Fuer den Fall, dass Sie das Thema Ihrer Antrittsvorlesung weiter verfolgen wollen: I.J. 1928 veroeffentlichte bei Sirey, Paris, Rue Soufflot Nr. 22, der in Fachkreisen sehr geschaetzte F. Divisia "L'Epargne et la Richesse Collective", worin er die Sache vom damaligen Stand der Wirtschaftsmathematik aus betrachtete. Auf S. 130 unterscheidet er "Prêt en monnaie" und "Prêt et nature", was nur sehr wenige Oekonomisten getan haben, was aber doch wichtig ist- Wenn die Universitaets-Bibliothek das Buch nicht besitzt, so schreiben Sie's mir bitte. Ich schicke Ihnen dann mein, allerdings ein bisschen ramponiertes Exemplar.

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Auf die Sache mit der Mittelbildung hoffe ich in einem meiner naechsten Briefe zurueckkommen zu koennen.

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Mit bestem Gruss

 Ihr

gez. U.v. Beckerath.

(aus Brief an Dr. Picard 24.6.1950)

 

 

 

 

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First published in: Ulrich von Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe, Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 441 (Mikrofiche), Berrima, Australia, 1983. Pages 1534-1535.